Der Islamische Religionsunterricht (IRU) ist seit den 70er Jahren Gesprächsthema auf politischer Ebene. Zuerst wurde er konzipiert als muttersprachlicher Ergänzungsunterricht, um damit Kindern und Jugendlichen, die in ihre (türkische) Heimat zurückkehren, die Eingliederung zu erleichtern. Schnell wurde aber klar, dass dieser Ansatz von falschen Voraussetzungen ausging: die Mehrheit der Gastarbeiterfamilien und ihre Kinder wollte gar nicht zurückkehren. Folglich musste das Konzept, welches vor allem in Bayern Anklang gefunden hatte, umgeändert werden. Die Schülerinnen und Schüler sollten deutschsprachig unterrichtet werde. An der Friedrich-Alexander Universität Erlagen Nürnberg wurde hierzu schon 2002 ein Fachbereich eingerichtet. Im Vorfeld sollten Dozenten aus der Türkei fachlich weiterhelfen. Schnell entwickelte sich daraus ein landesweiter Modellversuch, der aber bis dato nicht den Status eines regulären Religionsunterrichtes hat. An der Universität Münster wurde 2004 der Lehrstuhl für „Religion des Islam“ eingerichtet.
Nicht gemachte Hausaufgaben
Der Eindruck, dass die muslimischen Verbände[1], die u.a. im Koordinationsrat der Muslime organisiert sind, nicht ihren Hausaufgaben nachkommen, wird durch die Entscheidung des Landesgerichtes in Münster gestärkt. Denn in NRW hatten 1998 der Zentralrat der Muslime (ZMD) und der Islamrat für Deutschland gegen das Projekt „Islamische Unterweisung“ geklagt. Ihre Forderung war, dass nicht staatliche Behörden einen Religionsunterricht erteilen dürfen, sondern nach Art. 7, GG die Religionsgemeinschaften dafür verantwortlich sind. Aber genau hierin liegt die Crux: denn wer oder was sind Religionsgemeinschaften? Genau dies hatte das OLG geprüft und kam September 2017 zu einem vernichtenden Ergebnis, weder der Islamrat, noch der Zentralrat sind Religionsgemeinschaften. Der Zentralrat der Muslime und der Islamrat erfüllten nicht alle vier Kriterien einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes, sagte Bernd Kampmann, Vorsitzender Richter des 19. Senats. Aus den Satzungen der beiden Dachverbände lasse sich nicht die notwendige Sachautorität und -kompetenz für identitätsstiftende religiöse Aufgaben ableiten. Zudem müsse die religiöse Autorität der Dachverbände bis hinunter zu den Moscheegemeinden Geltung haben. Die Anerkennung als Religionsgemeinschaft hätte ihnen zu mehr gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz verholfen und womöglich den Zugang zu anderen Gremien demokratischer Teilhabe wie etwa den Rundfunkräten erleichtert. Auch wenn die Landesregierung an ihrem Ziel eines flächendeckenden, einheitlichen islamischen Religionsunterricht in NRW, der unter staatlicher Aufsicht von in Deutschland ausgebildeten Lehrern in deutscher Sprache durchgeführt wird, festhält, bedeutet das Urteil eine Ohrfeige für die islamischen Verbände: denn sie haben seit Jahrzehnten ihre Hausaufgaben nicht gemacht.
Verlässliche Strukturen
Denn die bestanden darin, verlässliche Strukturen zu schaffen, um als deutsche Islamverbände anerkannt zu werden. Und diese waren schon seit Jahren bekannt. Aufgrund einer Klage stellte nämlich das Bundesverwaltungsgericht 2005 Kriterien auf, die festlegen, welche Kriterien und Voraussetzungen die Vereine/Verbände erfüllen müssen, wenn Sie als Religionsgemeinschaft anerkannt werden wollen. Diese wären u.a. Gewähr auf Dauer, natürliche Personen als Mitglieder, verlässliche Ansprechpartner, nicht nur Erfüllung partieller religiöser Bedürfnisse sondern breitflächig Interessensvertretung usw.[2] Diese Kriterien hätten die Verbände in den vergangenen zwei Jahrzehnten seit Klagebeginn erfüllen können und müssen. Bezüglich der politischen Ebene kann man festhalten, dass die Politik eher abwartend und zögerlich reagiert auf Forderungen der Muslime. Als Grund wird immer wieder genannt, dass es keinen verlässlichen, anerkannten Kooperationspartner gäbe. Oft hat man aber den Eindruck, dass man die Entscheidung den Gerichten überlässt. Diese Annahme zwang – wie in Berlin – muslimische Verbände gegen Behörden zu klagen, um das Anrecht von Kindern auf Religionsunterricht durchzusetzen. Auf der anderen Seite ist aber auch unverkennbar, dass durch die Uneinigkeit der Muslime und dem fehlenden Willen der Verbandsfunktionäre eine gemeinsame Plattform als Ansprechpartner zu schaffen, die Politik an den unterschiedlichen Modellversuchen festhält (wie z.B. in Baden Württemberg oder Bayern). Obwohl der baden-württembergische Ministerpräsident 2014 die Vertreter der muslimischen Verbände aufforderte „bis Ende des Jahres ein Gremium aus Verbandsvertretern, Theologen und wichtigen Einzelpersonen als Ansprechpartner für die weiteren Gespräche und Verhandlungen zu bilden“, geschah nichts. Denn: wegen der internen Machtkämpfe konnten die Verbände kein gemeinsames Gremium bilden.
Obwohl aber Jahrzehnte vergangen sind, gibt es kein Positionspapier der islamischen Verbände – weder als Dach- noch als Einzelverband haben es die Verbände es nicht verstanden selbst oder in Kooperation mit muslimischen Religionspädagogen ein Fachpapier vorzulegen.
Baustelle Baden Württemberg
Die CDU in Baden-Württemberg wiederum ist gegen jede Kooperation von Land und Kommunen mit der DITIB und anderen vom türkischen Staat kontrollierten Stellen, so Justizminister Guido Wolf (CDU). Die Errichtung einer Stiftung für den Religionsunterricht ist geplant. Gespant wird man sein auf die Reaktion der Verbände zu diesem Ansinnen. Pikant wird die Angelegenheit auch dadurch, dass ja zwischen den Verbänden keine theologischen Unterschiede bestehen. Alle genannten Verbände sind sunnitisch und mehrheitlich – insbesondere was die Türken betrifft – folgen sie der hanafitischen Rechtsschule. Die Kirchen in Deutschland (katholisch, wie evangelisch) haben es immer wieder verstanden auf gesellschaftliche Herausforderungen zu reagieren und sich neu zu positionieren – dies kann man dann in den verschiedenen Positionspapieren nachlesen, wenn es z.B. um Fragen wie Ehe, Umwelt, Flucht und eben auch Bildung geht. Obwohl aber Jahrzehnte vergangen sind, gibt es kein Positionspapier der islamischen Verbände – weder als Dach- noch als Einzelverband haben es die Verbände es nicht verstanden selbst oder in Kooperation mit muslimischen Religionspädagogen ein Fachpapier vorzulegen. Ein weiterer Bereich den die Gutachten in Hessen ansprechen, sollte mehr als zu bedenken geben. Obwohl alle Verbände deutschsprachig aufgestellt sind und wir mittlerweile Muslime haben, die in der dritten bzw. vierten Generation in Deutschland leben und ausgebildet sind, beschäftigen die Verbände kaum Experten, die zu gesellschaftlich relevanten Fragen Positionen artikulieren, die eine Beheimatung der Muslime und damit auch einen öffentlichen Diskurs über das Muslimsein in Deutschland anregen könnten. Am Deutlichsten kann man dies daran erkennen, dass die Verbände kein Personal einstellen geschweige denn Strukturen in Form von Abteilungen für den Islamischen Religionsunterricht in Deutschland aufbauen. Solange aber die o.g. Punkte nicht in Eigenregie und in eigenem Interesse der Verbände eigenhändig angegangen werden, wird weder eine rechtliche, geschweige denn eine gesellschaftliche oder gar politische Anerkennung der Muslime zu erwarten sein.
[1] Mitglieder sind: DITIB, IGMG, VIKZ und der Zentralrat der Muslime.
[2] Anger, Thorsten. (2010) Zur rechtlichen Legimitation des Islamischen Religionsunterrichts. In: Bülent Ucar/ Danja Bergmann (Hg.): Islamischer Religionsunterricht in Deutschland, S. 43-51.