Hessen beendet Kooperation mit DITIB: Ein schwerer Brocken oder ein Fiasko mit Ansage?

Die hessische Landesregierung in Hessen hat heute (28.04.2020) offiziell verkündet, dass sie die Zusammenarbeit beim islamischen Religionsunterricht mit dem türkischen Moscheeverband DITIB beendet. Der Hauptgrund: Die Zweifel an der grundsätzlichen Unabhängigkeit von DITIB von der türkischen Regierung hätten nicht ausgeräumt werden können. Die Entscheidung war eigentlich voraussehbar: zu tief die Gräben. Die Landesregierung hatte schon letztes Jahr ein neues Pilotprojekt auf den Weg gebracht: einen Islamkundeunterricht, obwohl der Verband ansatzweise einige Reformen auf den Weg gebracht hatte.

Der Zeitpunkt der Erklärung zeugt von wenig Fingerspitzengefühl. Kultusminister Lorz spricht davon, dass er bedauere, dass die Erklärung in eine Zeit der „religiösen Feierlichkeiten“ fiele und es wegen der Coronakrise nicht vorher machbar gewesen sei. Doch: welche Feierlichkeiten gibt es denn aktuell: Keine. Es ist Ramadan, also eine Zeit, wo die Muslime sich enthalten, sich dem Gebet, dem Studium des Korans widmen, eine Zeit, wo die Muslime Konflikte meiden sollen und an sich selbst und den ethischen Werten arbeiten sollen. Erst nach der Ramadanzeit kommt dann die Festzeit – das Ramadanfest. Folglich zeigt der Zeitpunkt wenig Finderspitzengefühl und ist eher als pietätlos einzustufen.

Zur Geschichte

Die hessisches Landesregierung hatte nach Ausfertigungen von einem religionswissenschaftlichen Gutachten durch Tezcan und Thielmann und einem staatsrechtlichen Gutachten von Robbers 2012 offiziell eine Kooperation mit der DITIB zum Zwecke eines bekenntnisorientierten Islamischen Religionsunterrichtes verkündet. Daneben wurde gesondert eine Kooperation mit der Ahmadiya Gemeinde vereinbart, die ihren eigenen Religionsunterricht erteilt. Die Kooperation mit ihr wird auch jetzt weitergeführt. Damals stellte Prof. Dr. Gerhard Robbers fest, dass die DITIB eine Religionsgemeinschaft ist: „ Der DITIB-Landesverband Hessen e.V. ist Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG“. Denn der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen findet seine primäre Rechtsgrundlage in Art. 7 Abs. 3 GG. Für das Land Hessen gilt darüber hinaus insoweit Art. 57 der Verfassung des Landes Hessen, aber auch dieser bringt im Wesentlichen nichts Neues. Auch die Rückbindung der DITIB Hessen nach Köln und nach Ankara wurde ausdrücklich im Gutachten 2012 von Robbers erwähnt und für unproblematisch erachtet: „Die Unabhängigkeit vom türkischen Staat ist gegeben, soweit dies erforderlich ist“.(https://kultusministerium.hessen.de/sites/default/files/media/hkm/ditib_hessen_staatskirchenrechtliches_gutachten_robbers_juni_2012.pdf)

Was war aber nun geschehen?

Nach dem gescheiterten Militärputsch 2016 in der Türkei hat sich die politische Bewertung der Türkei vor allem des türkischen Präsidenten Erdogans und der Rolle der DITIB in Deutschland sehr stark verändert. Vor allem die Menschenrechtslage in der Türkei verschlimmerte sich nach dem Putsch von Tag zu Tag: Foltervorwürfe, Verfolgung politisch Andersdenkender, Pressenzensur, die Schließung von regimekritischen Zeitungen und Fernsehsender mit dem Vorwand sie würden für Propaganda für die Terrorgruppe PKK machen oder dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen nahestehen, die massenhafte Entlassung von Staatsbeamten, die zu der Gruppe der Gülenisten gezählt oder regimekritisch waren, sorgte für Empörung und Schlagzeilen in Deutschland.  Immer mehr geriet die Türkeibindung des Verbandes DITIB in die Kritik, weil u.a. im Folge des Putsches Religionsattaches Imame anwiesen Gemeindemitglieder und explizit Gülenisten, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht werden, auszuspionieren. Vor allem fiel auf, dass sich die DITIB-Zentrale in Köln sich nicht entschieden gegen diesen Rechtsbruch stellte. Auffällig war auch, dass sich DITIB Funktionäre und Bedienstete, die vom türkischen Staat bezahlt werden, sich nicht öffentlich gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei stellten. Auftritte von Erdogan und türkischen Politikern im Zuge der Verfassungsreform 2017 erhärteten in Deutschland den Eindruck, dass die Türkei unter der AKP Regierung in ein autokratisches Regime umgewandelt wird.

Strukturelle Defizite

Daneben offenbarten sich strukturelle Defizite im Verband selbst. Imame, die kaum oder gar kein Deutsch sprechen werden seit je nach Deutschland gesandt. Sie kennen sich in Deutschland kaum aus und können insbesondere die Bedürfnisse der jungen Muslime nicht befriedigen. Auf kritische Fragen aus der Öffentlichkeit können oder wollen sie nicht antworten. Der Vorsitzende der DITIB selbst kann kaum Deutsch und damit kaum in der Lage auf Fragen und Anfragen der deutschen Öffentlichkeit zu antworten. Aber auch die internen Machtkämpfe und Streitigkeiten über die Ausrichtung des Verbandes kosteten DITIB  viel Kraft: der Jugendverband BMDJ löste sich auf, führende Funktionäre verließen den Verband oder mussten gehen. Mit Kazim Türkmen kam dann 2018 ein neuer Vorsitzender, der schon einige Jahre als Imam und Religionsattache tätig war, an die Spitze des Verbandes. Kurz nach Amtsübernahme verkündete er einen Neuanfang und gestand ein, dass man Fehler gemacht habe. Doch in seine Zeit fiel Neujahr 2018 eine Veranstaltung, die offensichtlich von Ankara dirigiert war, die den Eindruck vermittelte, dass man die Fragen nach einer Beheimatung des Islams in Deutschland gar nicht ernst nehmen wollte.

Vor allem die Schwäche in der öffentlichen Darstellung der DITIB und der Pressearbeit waren nun offenkundig. Auch aktuell macht die Homepage der DITIB eher einen unprofessionellen, sperrigen Eindruck, es gibt kaum öffentliche Erklärungen, schon gar keine Positionspapiere, die das muslimische Leben in Deutschland betreffen. Die Arbeit mit unprofessionellem Personal verstärkt den Eindruck.

Damit wurden auch die Schwächen des Landesverbandes ganz offensichtlich: die Landesregierung gab 2017 wieder Gutachten in Auftrag, die abermals Defizite feststellten, vor allem in drei Bereichen (s. hierzu ausführlicher mein Beitrag):https://ismailyavuzcan.com/2018/11/27/quo-vadis-islamischer-religionsunterricht-unterricht-zwischen-staatlichem-anspruch-und-verbandspolitik-2/

Satzungsänderung mit dem Ziel, die Unabhängigkeit von DITIB Köln und Ankara zu dokumentieren und festzuschreiben

Die Professionalisierung der Verbandsarbeit mit der Etablierung einer Geschäftsstelle

Die Offenlegung der Mitgliederregister

Allen Forderungen, die schon vor 2017 bekannt waren und Teil einer professionellen Verbandsarbeit sind und essenziell sind, wenn ein Verband die Verantwortung für einen bekenntnisgebundenen Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht übernehmen möchte, wurden sehr zögerlich und erst mit Nachdruck erfüllt. Nach Angaben des hessischen Kultusministers Lorz wurde die Satzungsänderung, die Ende 2018 erfolgte, nichtmal ins Vereinsregister eingetragen.

Nächste Baustelle: Rheinlandpfalz

Ein ähnliches Verhalten ist auch in Rheinlandpfalz zu beobachten. Hier hat die Landesregierung mit vier Verbänden eine Rahmenvereinbarung getroffen: Landesverband DITIB, VIKZ, Ahmadiya und die Schura Rheinlandpfalz, wo u.a. die IGMG vertreten ist. Hier sollen die Verbände in drei Jahren Defizite beheben. Auch hier haben die Gutachten die Verfassung aller Verbände als Religionsgemeinschaft bestätigt. Auch hier soll die DITIB eine Geschäftsstelle auf Anordnung des Staates erst einrichten. Wieder muss eine staatliche Stelle dem Verband aufgeben, was ihre Hausaufgaben sind, obwohl diese schon längst bekannt sind. Es scheint aber dem Verband nichts auszumachen, so derart vorgeführt zu werden (s. mein Beitrag hierzu).https://ismailyavuzcan.com/2020/04/04/ein-meilenstein-in-der-entwicklung-hin-zum-iru-und-anerkennung-als-religionsgemeinschaft/

Letztendlich ist die Entscheidung der hessischen Landesregierung eine politische Entscheidung. Denn an dem rechtlichen Umstand, dass die DITIB eine Religionsgemeinschaft ist, wird man nicht rütteln können. Somit scheint ein Rechtsstreit vorprogrammiert, auch wenn beide Seiten Gesprächsbereitschaft signalisieren – die Landesregierung aber klar, nicht über eine Zusammenarbeit sprechen möchte. Auch die Etablierung eines Islamkundeunterrichtes eröffnet Grund für rechtliche Auseinandersetzungen. Religionsunterricht kann nach Art. 7 nur in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften erteilt werden. Ein Religionsunterricht, der als „kundlicher“ Unterricht getarnt ist, steht auf dünnem verfassungsrechtlichen Eis und droht vor Gericht zu scheitern.

Damit ist aber auch ein neuer Weg eröffnet: denn die Entscheidung der hessischen Landesregierung kann gut als Blaupause für andere Bundesländer dienen, in denen DITIB am Verhandlungstisch steht, wie z.B. in NRW. Auch hier wird weniger über pädagogische oder rechtliche Sachfragen gestritten, sondern auch hier ist Religion Politik und es geht auch hier um Macht und Einfluss. Mann braucht kein Insider zu sein, um zu erkennen, dasss die Verbände über wenig Rückhalt in der deutschen Öffentlichkeit verfügen verfügen und auch nicht gewillt sind professionelle Lobbyarbeit zu machen. Somit sind sie gegenüber Veränderungen in der politischen Großwetterlage sehr empfänglich und damit leicht Spielball politischer Interessen. Und jemehr sich Erdogan Gegenstand der Innenpolitik Deutschlands wird, umso schwieriger wird es der Verband haben, eine eigene Strategie zu entwickeln.

Zwei Dinge sind für mich hier wesentlich.

Zum einen, wie die Linken-Abgeordnete Elisabeth Kula es formuliert hat: „mit dem Aussetzen des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts für Muslime ist ein Grundrecht in Frage gestellt“.  Zwar empfinde auch die Linke „die Weisungsbefugnis des türkischen Staatsapparates auch auf die Ditib Hessen äußerst problematisch“. Falls die schwarz-grüne Landesregierung dieses Grundrecht in Frage stellen wolle, müsse sie es per Bundesratsinitiative tun, „und nicht durch eine Schlechterstellung muslimischer Schülerinnen und Schüler“. Denn die DITIB ist der größte Verband in der muslimischen Verbandslandschaft. Trotz aller internen Kritik fühlen sich viele (türkischstämmige) Muslime durch die DTIIB vertreten. Viele Eltern schicken ihre Kinder in DITIB Moscheen zum Koranunterricht. Folglich kann man den Verband nicht einfach links liegen lassen.   Nach eigenen Angaben ist sie die drittgrößte Religionsgemeinschaft im Bundesland.  DITIB Hessen gehören 86 DITIB-Moscheegemeinden an. Knapp 60.000 Gläubige bilden die Gemeinschaftsmitglieder, während die Festtags- und Freitagsgemeinde der Landesgemeinschaft in etwa 100.000 Musliminnen und Muslime umfasst.

Die DITIB Hessen, besonders aber die Zentrale in Köln untersteht organisatorisch und personell der Religionsbehörde in Ankara. Folglich ist es utopisch und auch nicht redlich von ihr zu verlangen, sich loszueisen von Ankara.

Viel wichtiger aber für mich ist folgender Umstand: nicht nur DITIB, auch die anderen islamischen Verbände wie IGMG, ATIB, VIKZ lassen es vermissen eine muslimische Perspektive hier und jetzt in Deutschland zu etablieren, der sich nicht an den Forderungen und Wünschen der Heimatländer orientiert, sondern an der Lebenswirklichkeit der Muslime und damit zur Beheimatung der Muslime beiträgt. Dazu gehört es, professionelle Strukturen zu etablieren, und nicht weil es staatlich gewünscht wird, sich akademisch und professionell den Sachfragen muslimischen Lebens in Deutschland zu widmen, wie dem Religionsunterricht, der Imamausbildung usw. Vor allem verstehen es die Verbände und insbesondere ihre Funktionäre in Köln nicht, dass man nicht mehr so arbeiten kann wie in den 80ern und junge Muslime sich abwenden von den Verbänden, wenn sie nicht gehört werden. Deutsch ist die Kommunikations,- und Sinndeutungssprache der Muslime in Deutschland, und sie haben das Anrecht, aus einer Deutschlandperspektive heraus Antworten für ihre Anliege zu bekommen. Kosmetische Veränderungen sind deshalb nicht glaubhaft und vermitteln eben nicht den Eindruck, eines bodenständigen, hier gelebten Muslimseins. Ich erkenne nirgends Anzeichen sich diesen Herausforderungen zu stellen. Folglich werden wir wahrscheinlich noch viele solche vorprogrammierten Entscheidungen erleben, die auch wesentlich mitverschuldet sind. Eine Community lebt vom öffentlichen Diskurs, hier sind die jungen Menschen gefragt, klar, konstruktiv Stellung zu beziehen und Wege und Möglichkeiten zu suchen sich einzubringen, trotz der Steine, die ihnen ins Weg gelegt werden.. Die Verbände sind ein wichtiger Bestandteil der muslimischen Öffentlichkeit. Sie hinken aber der Lebenspraxis der Muslime weit hinterher. Wenn z.B. die DITIB, wie in ihrer Pressemitteilung es formuliert, es ernst meint und den IRU als eine „essenzielle Möglichkeiten muslimischen Lebens“ betrachtet, muss sie ernstmachen  und sich der öffentlichen Kritik an ihrem Wirken stellen und nicht öffentliche Kritiker oder Kritik allgemein diffamieren oder als Nestbeschmutzer deklarieren.

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