Quo vadis Islamischer Religionsunterricht: Unterricht zwischen staatlichem Anspruch und Verbandspolitik (1)

Kurz vor Jahresende (2017/2018) ließ das Kultusministerium in Hessen verkünden: Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) bleibt Partner für den Islamischen Religionsunterricht. Kultusminister Alexander Lorz (CDU) betonte, es sei kein Einfluss auf Unterricht oder Lehrkräfte durch türkische Amtsträger nachweisbar. Begutachtet wurde die DITIB von Prof. Dr. Josef Isensee, Prof. Dr. Mathias Rohe und Dr. Günter Seufert. Die Stimmung ist aufgeheizt, denn der Verdacht, dass der türkische Staat Einfluss auf den Unterricht nehmen würde, wurde immer wieder vorgebracht. Doch die Gutachter kamen zu einem doch überraschenden Ergebnis: „Eine direkte Einflussnahme auf einzelne Lehrkräfte oder ihren Unterricht ist nicht ersichtlich. Die Gutachter erkennen an, dass dem in Kooperation mit DITIB Hessen eingerichteten bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht in Hessen insgesamt eine positive Wirkung zukommt und dieser in den Schulgemeinden auf große Akzeptanz stößt“. Mathias Rohe schreibt dazu: „Nach ungewöhnlich intensiver interner Prüfung liegen keinerlei Hinweise darauf vor, dass seitens der Lehrkräfte bzw. durch Einflussnahme von DİTİB Hessen, DİTİB Köln oder der türkischen Auslandsvertretungen in Hessen und Deutschland politische Inhalte verbreitet oder türkische Staatsinteressen vertreten wurden.“[1] Prof. Isensee ist in seinem Gutachten etwas kritischer: „[… Es] besteht eine ‚satzungsmäßig verankerte, geschlossene institutionelle Verbindung‘ mit DITIB Köln und Diyanet sowie mit dem Religionsattaché des Generalkonsulats als dem Dienstvorgesetzten der von Diyanet entsandten Imame. Über diese institutionelle Verbindung ist eine politische Einflussnahme grundsätzlich möglich.

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Der Umstand, dass die ‚direkten Befehlsketten aus Ankara über Köln nach Hessen‘ bisher nicht (oder jedenfalls nicht nachweisbar) genutzt worden sind, bietet keine Gewähr dafür, dass das so bleibt.“ [2] Und weiter: „Die Abhängigkeit (DITIB Hessens aufgrund der Einbindung in die Weisungskette zum türkischen Staat) hat sich bislang nicht – jedenfalls für Dritte nicht wahrnehmbar – auf die Mitwirkung am Religionsunterricht praktisch ausgewirkt. Jedoch gibt es keine institutionell-rechtliche Absicherung der unteren Handlungsebene gegenüber den höheren. Die höheren, also DITIB-Köln, Diyanet und der türkische Staatspräsident, könnten jederzeit, wenn sie es für politisch angebracht halten, auf den Hessischen Landesverband zugreifen.“[3] Grundsätzlich ist gegen eine Begutachtung nichts einzuwenden. Wo liegt dann aber das Problem? Durch die Spionage-Affäre hat das Ansehen der DITIB Schaden genommen.[4] Auch durch das schlechte Krisenmanagement der Kölner Zentrale entstand der Eindruck, dass die Funktionäre gar nicht gewillt sein, die Angelegenheit zu klären. Vielmehr ist eine Trotzreaktion zu erkennen. Verbandsfunktionäre äußern immer wieder die Kritik, dass „Jahrzehntelang (…) die “Anerkennung” der islamischen Religionsgemeinschaften durch die Politik verschleppt“ worden sei [5]. Diese Kritik ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Im Rückblickt erhärtet sich das Gefühl, dass immer wieder neue Mutmaßungen, Verdächtigungen bezüglich der islamischen Organisationen vorgebracht werden, damit sie eben nicht ihrer Rolle als Ansprechpartner gerecht werden können. Mal werden sie kritisiert, dass sie konservativ oder gar extremistisch sein, mal das sie zu Türkisch oder Arabisch geprägt sein, mal sollen sie sich vom Terror distanzieren oder sie sollen nachweisen, dass sie von ausländischen Staaten unabhängig sind – in diesem Fall von der Türkei. Die Liste der Erwartungen scheint unendlich zu sein.

Grundgesetz für Alle: Religionsunterricht unter staatlichem Schutz

Nach Artikel 7, Absatz 3 steht der Religionsunterricht als einziges Fach unter staatlichem Schutz. Er wird vom Staat beaufsichtigt und in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften erteilt. Dabei unterscheidet das Grundgesetzt nicht zwischen Christen, Muslimen oder Juden. Demnach haben muslimische Kinder und Jugendliche ein Anrecht auf Religionsunterricht. Dieses Recht können sie nicht in Anspruch nehmen, obwohl mehr als 700.000 muslimische Kinder in Deutschland zur Schule gehen. Folglich wird ihnen ein elementares Grundrecht verwehrt. Im Kontext der Diskussion über die Rolle der Muslime in der deutschen Gesellschaft hat man das Gefühl, dass die Politik Entscheidungen über die Einführung eines Islamischen Religionsunterrichtes gerne auf die lange Bank schiebt, um nicht bei den nächsten Wahlen Stimmen an Rechtspopulisten zu verlieren oder die eigene Basis gegen sich zu aufzubringen. Ein leichtes ist es dabei vom Fehlen eines verbindlichen Ansprechpartners zu sprechen. Denn ein Religionsunterricht kann nur in Kooperation mit einer anerkannten Religionsgemeinschaft erteilt werden. Wenn man aber keinen islamischen Verband als Religionsgemeinschaft anerkennt, hat man auch keinen Kooperationspartner. Doch es muss auch folgende Frage erlaubt sein: Haben die Verbände über die Jahrzehnte ihre Hausaufgaben gemacht? Sind die Verbände gänzlich unschuldig an ihrer Außenwirkung? Gewiss nicht! Zur Frage der Unabhängigkeit vom Ausland: Imame üben eine zentrale Rolle in den Moscheen aus, sie sind Vorbeter, Seelsorger, Dialogpartner usw. Weil es eben keine in Deutschland ausgebildeten Theologen gibt, werden sie aus den muslimischen Ursprungsländern importiert. Solange wir keine in Deutschland ausgebildeten und vom deutschen Staat bezahlten Imame haben, werden die Moscheegemeinden auf die Import-Imame angewiesen sein. Die Verbände wiederum aber bemühen sich leider nur zaghaft, um diesem Defizit selbst entgegenzuwirken. Es gibt mittlerweile viele Studenten, die an den theologischen Zentren (in Frankfurt, Münster, Osnabrück, Tübingen, Erlangen) eingeschrieben bzw. diese absolviert haben. Die Verbände machen diesen jungen Theologen und Theologinnen kaum Angebote, um diese in Diensten zu nehmen oder ihnen Weiterbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten anzubieten.

  • In Deutschland leben schätzungweise 4,4 bis 4,7 Millionen Muslime
  • Im Jahr 2008 waren rund 1,8 Millionen Muslime deutsche Staatsbürger
  • Die größten islamischen Verbände sind DITIB, IGMG, VIKZ, ZMD
  • 700.000 muslimische SchülerInnen besuchen deutsche Schulen

Für mich persönlich wiegen weitere Punkte, die auch Gegenstand der Begutachtung und damit auch der Kritik waren, noch schwerer. Es sind Punkte, die wesentliche Bereiche der islamischen Verbandsarbeit und der Selbstverantwortung der muslimischen Community in Deutschland betreffen. Genannt werden insbesondere der Nachweis über den Aufbau eines Mitgliedsregisters und die Herausbildung hinreichend professioneller Verwaltungsstrukturen, damit DITIB Hessen die Aufgaben als Religionsgemeinschaft und Kooperationspartner sachgerecht ausüben kann. Damit DITIB seine Eignung als Kooperationspartner unter Beweis stellen kann, muss sie den Nachweis über den Aufbau eines Mitgliedsregisters sowie hinreichend professionelle Verwaltungsstrukturen nachweisen.[6] Kritikpunkte, die eigentlich seit Jahrzehnten auf der Agenda der Verbände stehen müssten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil aus dem Jahr 2005 nochmals klargestellt, „dass die Religionsgemeinschaften durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr auf Dauer bieten. Ein solches Erfordernis ist wegen des mit der Einführung von Religionsunterricht für den Staat verbundenen Planungs- und Kostenaufwandes unverzichtbar“. [7] Folglich ist es nicht nachvollziehbar, wenn einzelne Verbände (und nicht nur die DITIB) dieser Forderung nicht nachkommen und damit den Religionsunterricht in Gefahr bringen. Zumal die Landesregierung in Hessen der DITIB eine Galgenfrist bis Dezember 2018 gesetzt hat. In NRW wurde 2011 eigens ein Gesetz hierfür verabschiedet: Gesetz zur Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Dieses läuft aber 31. Juli 2019 aus. Bis dahin müssen die Verbände es schaffen, sich als Religionsgemeinschaften zu formieren. Dies soll anhand von Gutachten geprüft werden. Man darf auf die Gutachten gespannt sein. Folgt man denen in Hessen, lässt sich erahnen in welche Richtung die Begutachtung gehen könnte. In Rheinlandpfalz stocken derzeit die Gespräche: „Die Verbände sollen jede ausländische Einflussnahme ausschließen und Zweifel an ihrer Verfassungstreue ausräumen. Grundlage dieser Entscheidung sind zwei neue Gutachten. Sie sehen bei den beiden größten Verhandlungspartnern – dem türkisch-islamischen Ditib-Verband und der Schura Rheinland-Pfalz – erhebliche Defizite. Beide Verbände kämen aufgrund der neuen Erkenntnisse derzeit nicht als Partner für einen Vertragsabschluss infrage, sagte der Minister“[8]

[1] https://kultusministerium.hessen.de/presse/pressemitteilung/ditib-hessen-als-kooperationspartner-fuer-bekenntnisorientierten-islamisch-0

[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4] Zum Hintergrund: DITIB-Imame sollen auf Anweisung aus Ankara Anhänger der Gülen-Bewegung ausspioniert haben. Die Gülenisten werden beschuldigt, verantwortlich für den Putsch letzten Sommer zu sein.

[5] Ali Kizilkaya: http://www.islamiq.de/2017/11/15/politik-verschleppt-loesungen/

[6] https://kultusministerium.hessen.de/presse/pressemitteilung/ditib-hessen-als-kooperationspartner-fuer-bekenntnisorientierten-islamisch-0

[7] https://www.bverwg.de/230205U6C2.04.0

[8] https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/Verhandlungen-um-Religionsvertrag-Land-stellt-Gutachten-zu-islamischen-Verbaenden-vor,studie-ditib-100.html (Stand November 2018).

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